Als Verbraucher sollten wir uns nicht nur fragen, woher unser Essen kommt, sondern auch, unter welchen Bedingungen es hergestellt wird. Die Schleswig-Holsteiner Genossenschaft Bunde Wischen produziert hochwertiges Rindfleisch und setzt dabei auf den Erhalt von Natur und Umwelt. Wir trafen uns mit Gerd Kämmer, dem Vorstandsvorsitzenden der Bunde Wischen eG, zum Gespräch.
Alles begann mit einer Orchideenwiese, das war in den 80er Jahren. Um dieses Stück Natur langfristig zu schützen und zu erhalten, pachteten Gerd Kämmer und einige Gleichgesinnte die Fläche. Zur Pflege der Landschaft und zur Finanzierung des Vorhabens wurden Rinder gehalten. Nachdem das Unterfangen als Arbeitsgruppe des BUND gestartet war, wurde Mitte der 90er-Jahre ein Verein gegründet. Seit 2008 wirtschaftet man nach den strengen Bioland-Richtlinien, die über die gesetzlichen Mindeststandards für Bio-Produkte hinausgehen. „Bunde Wischen“ stammt übrigens aus dem Plattdeutschen und steht für „bunte Wiesen“ – der Name ist also Programm. Seit nicht allzu langer Zeit wird Bunde Wischen nun in der Rechtsform einer Genossenschaft geführt. Was mit drei Tieren und wenigen Hektar Land begann, ist zu einem Betrieb mit eintausend Rindern – vornehmlich Galloways und auch Highland Cattle – und einhundert Pferden herangewachsen, die insgesamt rund 1.700 Hektar Naturschutzfläche im Nordosten Schleswig-Holsteins beweiden.
Nur wenige Kilometer vom Zentrum Schleswigs entfernt befindet sich der Hof Königswill, der Sitz der Bunde Wischen eG. „Landwirtschaft, Natur & Mensch im Einklang“ liest man auf dem großen Schild, das die Einfahrt zum Gelände markiert. Doch was verbirgt sich hinter den Worten? „Unsere Rinder werden ganzjährig auf der Weide gehalten und decken ihren Nahrungsbedarf bis auf wenige Ausnahmen gänzlich aus dem, was die Fläche hergibt“, erklärt Gerd Kämmer das grundsätzliche Prinzip des Betriebs. Das entspricht der Natur der Tiere: Galloways und Highland Cattle stammen ursprünglich aus Schottland, vom zuweilen rauen, sprichwörtlichen Schleswig-Holsteiner Schmuddelwetter lassen sich die genügsamen Rinder nicht aus der Ruhe bringen. Gleichzeitig sorgt die ganzjährige Weidehaltung dafür, dass die Tiere ein qualitativ besonders hochwertiges und schmackhaftes Fleisch liefern, dessen Vermarktung die wirtschaftliche Grundlage der Genossenschaft ist und deren finanzielle Unabhängigkeit garantiert.
Das Weiden der Tiere auf den weitläufigen Naturschutzflächen stellt einen entscheidenden Faktor im Dreiklang von Landwirtschaft, Natur und Mensch dar. „Wir wollen ja gerade die gestalterische Wirkung der Tiere auf den Flächen haben“, so Kämmer. Denn das charakteristische Weideverhalten der Tiere erhält die Struktur einer halboffenen Weidelandschaft mit ihren Gräsern, Kräutern und Buschbeständen, die Lebensraum für zahlreiche Tier- und Insektenarten ist. „Eine extensive Beweidung, wie wir sie betreiben, ist der Schlüsselfaktor für die Artenvielfalt“, ist sich Kämmer sicher.
Er muss es wissen: Als Diplom-Biologe steckt er tief in der Materie, ist neben seiner unmittelbaren Arbeit an den Tieren als Genossenschaftsvorstand für die Entwicklung des Betriebs verantwortlich. Darüber hinaus ist er als Naturschutzbeauftragter für den Kreis Schleswig-Flensburg tätig und verfasst regelmäßig wissenschaftliche Abhandlungen. Während Gerd Kämmer über seine Tiere und deren Lebensraum spricht, offenbart sich nicht nur ein umfangreiches Wissen, sondern auch ein großer Respekt gegenüber der Natur. In Bezug auf die Rinder spiegelt sich dies in der Art und Weise ihrer Haltung wider – und bei deren Tötung.
Kämmer erklärt: „Wir geben jedem Kalb, das bei uns geboren wird, ein Versprechen: ‚Du wirst unseren Betrieb nicht lebend verlassen.‘“ Was sich auf den ersten Blick wie eine böse Drohung anhört, stellt sich bei genauerer Betrachtung als das genaue Gegenteil heraus. Denn anders als bei unzähligen konventionellen Betrieben, in denen die Rinder auf dem Weg zum Schlachthof extremem Stress ausgesetzt werden – vom Einfangen und Trennen der Tiere über den anstrengenden Transport bis hin zu fremden Menschen, Umgebungen, Gerüchen und Geräuschen – werden die Tiere der Bunde Wischen eG direkt auf der Weide getötet. Ohne Stress, ohne Angst. „Die Rinder sterben durch Kugelschuss, und zwar in ihrer gewohnten Umgebung“, erläutert Kämmer das Verfahren, das er persönlich durchführt und dafür eine spezielle Legitimation erworben hat. Als Ausbilder für die Kugelschussmethode gibt Kämmer mittlerweile sein praktisches Wissen an andere weiter.
Fünf Tiere werden bei der Bunde Wichen eG im Schnitt pro Woche geschlachtet – weniger, als die Nachfrage hergeben würde. Denn der Naturschutz hat bei der Genossenschaft Priorität. So habe man bewusst auf einen Online-Shop verzichtet und setzt stattdessen auf traditionelle Wege der Vermarktung. Dazu zählen die Belieferung von Privatpersonen und Wiederverkäufern, sowie der Verkauf an Gastronomen aus dem regionalen Netzwerk „Feinheimisch“, dem die Bunde Wischen eG angehört. Auf kürzestem Wege gelangt man an die hochwertigen Fleisch- und Wurstwaren allerdings über den eigenen Laden, der sich auf dem Hof Königswill befindet: Neben Gulasch, Braten, Sülze, Wurst, Hackfleisch und unzähligen anderen Spezialitäten aus eigener Produktion werden hier regionale Bio-Produkte aller Art zum Verkauf angeboten.
Dass das Wissen um modernen Ökolandbau und die Wertschätzung von Natur und Umwelt in der Öffentlichkeit weitergetragen wird, ist Gerd Kämmer ein stetes Anliegen. Passenderweise ist die Bunde Wischen eG einer von knapp 300 Betrieben, die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft als „Demonstrationsbetrieb Ökolandbau“ ausgewählt wurde. Diese über die gesamte Bundesrepublik verteilten Biobetriebe bieten einer interessierten Öffentlichkeit Einblicke in das Thema der ökologischen Landwirtschaft. Und auch die Tatsache, dass auf dem Hof der Genossenschaft der Schleswiger Waldkindergarten ein Zuhause gefunden hat, sorgt bereits für Kontakt und Austausch mit den Jüngsten unserer Gesellschaft.
Man muss kein Liebhaber von deftigem Gallowaybraten sein, um die Arbeit von Gerd Kämmer wertzuschätzen. Denn dass ein intaktes Ökosystem am Ende des Tages natürlich auch uns Menschen zugutekommt, sollte in Zeiten von Umweltverschmutzung und nahender Klimakatastrophe eigentlich jedem bewusst sein. „Während der Coronapandemie haben wir eine neue Wertschätzung unserer Naturschutzflächen erlebt“, berichtet Kämmer über das gesteigerte Interesse der Menschen an der Natur. Denn die größten der von Bunde Wischen bewirtschafteten Naturschutzflächen – beispielsweise auf der Halbinsel Holnis oder der Geltinger Birk – sind durch Wanderwege erschlossen und bieten stressgeplagten Stadtbewohnern ein nahezu unverfälschtes, erholsames Naturerlebnis. Doch auch die touristische Nutzung dieser Gebiete muss mit Augenmaß erfolgen: „Wir müssen neben der gesellschaftlichen Anerkennung dieser Flächen gleichzeitig einen respektvollen Umgang damit fördern“, findet Kämmer.
Nach den Herausforderungen seiner Arbeit gefragt, beklagt Gerd Kämmer einen großen Bürokratismus. Denn ein nicht ganz alltäglicher Betrieb wie die Bunde Wischen eG muss sich trotzdem in die bestehende landwirtschaftliche Systematik einfügen. „Das ist nicht immer einfach, es gibt einfach viele Fallstricke, die es einem unnötig schwer machen.“ Denn es herrsche immer noch eine große Diskrepanz zwischen der politischen Willensäußerung nach mehr ökologischem Landbau und der tatsächlichen Realität, so Kämmer. Das hält ihn allerdings nicht davon ab, auch weiter im Sinne von Landwirtschaft, Natur und Mensch im Einklang zu wirtschaften. „Zu sehen, dass unsere ursprüngliche Idee wirklich funktioniert – zu sehen, wie gut es den Tieren geht – daraus ziehe ich meine Motivation.“